Die Situation der ehemals so stolzen Stadt Köln im 17. Jahrhundert ist in manchem die des tiefen Verfalls und der Auflösung. Schickte sich das 14. Jahrhundert schon an, in der sozialen Umwälzung eine Auflösung heraufzubeschwören, so wurde diese doch zum Beginn eines neuen kraftvollen Aufstiegs.
Nun aber umspannt der mächtig weit umfassende Mauerring einen Raum, in dem die Äcker wieder überhandnehmen, weil die Menschenzahl zusammenschrumpft, die Häuser zerfallen, der Handel darniederliegt – es ist wie bei einem siechen Menschen, dem Kleid und Gürtel um die dünn gewordenen Glieder schlottern. Der Umbruch der Renaissance wurde für die Stadt schon ein Kriterium, mit dem sie ringen musste, der Aufschwung des Barocks versagte hier ganz. Wenn der Dreißigjährige Krieg an den nie bezwungenen Mauern vorüberzog, so scheint es, als ob das Mittelalter ihn verjagt habe. Die Stadt verödete; dass sie sich so früh dem Bischof verschloss, rächte sich bitter, denn keine Residenz gründete in ihr einen fürstlichen Mittelpunkt. Die nervöse Müdigkeit des 18. Jahrhunderts vermochte nichts daran zu ändern.
Die Geschichte der von Bornheim ist von all dem nicht zu trennen und bietet ein Beispiel dafür, wie rätselhaft dunkel der einzelne in seinem Tun und Lassen mit seiner Epoche verwachsen ist. Eine innere, aber unproduktive Hast bricht sich Bahn, die Generationen torkeln von einem Beruf zum anderen, keine Sammlung zwingt sie zur wirklich schaffenden Besinnung, sie tauchen bald hier, bald dort auf. und finden endlich zu einem Ruhepunkt: der Landwirtschaft.
Es ist kein Zufall, dass die äußeren Stadtpfarreien wie St. Severin, St. Mauritius, St. Aposteln, St. Christoph und St. Kunibert sich nun zu den Hauptwohngegenden entwickeln, denn sie bargen das meiste freie Land mit Weingärten und Feldern. Dazu sammelt die Familie aber auch Besitz außerhalb der Stadt, und nun erschwert ihr Hin- und Herziehen die Forschung ungemein. Einmal werden Kinder in den Kirchen der Stadt getauft; zumeist wenn die Dörfer draußen von Kriegsbanden bedroht sind, flüchtet sich die Familie in ihre Stadtwohnungen. Dann wieder zieht sie hinaus, dorthin, wo keine Kirchenbücher aus dieser Zeit vorhanden sind, so dass der Forscher im Zwielicht der Mutmaßungen tappt: Die Heimat der Frauen lockt auch deren Männer hinüber, und wenn schon im 16. Jahrhundert das rechtsrheinische Gebiet oft die Herkunft der Frauen ausmachte, so bricht diese Tendenz sich jetzt noch energischer Bahn, freilich auch das auf Kosten mancher sicheren Nachprüfung.
Die Linien zersplittern sich, aber die meisten Äste verdorren schon um und nach 1700. Dazu ziehen gerade in die aufgezählten Pfarren, und da namentlich in die von St. Mauritius, viele Familien aus dem Vorgebirge, die ihren Familiennamen hier ablegen und sich nach ihrem Herkunftsort benennen, so dass zu dieser Zeit Familien „von Bornheim“ auftauchen, die nichts mit unserem Stamm gemein haben und in Wahrheit ganz anders heißen. Doch erschweren sie die Forschung unserer Zweige durch ihr Dazwischendrängen. –
Der Versuch, eine allgemeine Psychologie der Familie von ihren Charakteren abzuleiten, scheitert schnell an der Kargheit des dafür überlieferten Materials. Eines aber bietet sich dem Zugriff: Neben einer stillen Träumerseele, die sich in den letzten beiden Jahrhunderten leicht mit dem errungenen oder ererbten Besitz zufrieden gibt ohne nach mehr zu streben – mein Ururgroßvater verzichtete aus Bequemlichkeit darauf, den großen Hof seiner Gattin zu übernehmen – haust oft das Misstrauen und die Prozesssucht. Prozesse finden sich in jeder Familie, und wenn bereits Wilhelm II. von 1226-1247mit dem Apostelstift in Fehde liegt, so braucht das noch nicht symptomatisch zu sein. Aber seit Johann VI. will die gerichtliche Auseinandersetzung nicht mehr ruhen, Johann VII. prozessiert wie sein Vater, sein Sohn Philipp II folgt darin. Vater und Großvater, Anton I. findet sich ebenfalls vor den Schranken des Leichskammergerichts, der höchsten richterlichen Instanz; Jörgens I. Gattin verwickelt eine Familienstreitsache in solche Beziehungen; ihre Schwägerin, Adelheid v. Bornheim, strengt einen Zivilprozeß an, und zwar in einer Erbschaftsangelegenheit, wohl gegen ihre eigenen Verwandten. Das nimmt im Jahrhundert darauf kein Ende; das lückenhafte Register der Prozesse „Konvolute 1600-1742″meldet darin: 1612 Bornheim gegen Goltstein, 1613 Bornem gegen Bornem, 1613 Bornheim gegen Aachen, 1614 Bornheim gegen Weil (zweimal), 1614 Bornheim zweimal gegen Peters und Bornheim gegen Rundschafft. Leider fehlen die Prozeßakten selbst, unter denen sich also auch Familienstreitfälle befanden. Das Register zu den Zivilprozessen 1700-1740 nennt neben den gerichtlichen Auseinandersetzungen um Franz Bornheim (s. S. 98) noch 1712 bis 1716 Bornheim gegen Bornheim, 1707-1712 Bornheim gegen Clarmundt; Michael v. B. (s. S. 105) strengt einen Zivilprozeß gegen einen Verwandten, Gertrud Bornheim geb. Müller (s. S. 140) einen solchen um ihr Erbe an; und noch mein Urgroßvater, Christian Bornheim (s. S. 156), wurde in seinem Heimatdorf der „Prozessbauer“ betitelt – die Reihe lässt sich noch bis in die Gegenwart hinein fortsetzen. Die Folgen von solch angespanntem Misstrauen und sich zersplitternder Kampfesstimmung pflegen sich nicht nur in den Vermögenslagen des Geschlechts bemerkbar zu machen – es scheint auch kein Zufall, dass sich von nun ab mehrere Familienmitglieder dem Studium der „Juristerei“ widmen. Dieses Misstrauen, im allgemeinen weniger ein rheinisches als ein bergisch-westfälisches Erbe, macht viel an dem charakterlichen FamilienkorpPus aus, wie der körperliche in der Regel meist mittelgroße, schwarz- oder rothaarige, blauäugige Menschen aufweist. – .
Die nachfolgenden Namen und Daten sind durchschnittlich aus Kirchenbüchern gezogen; da eine Notierung der Sterbefälle im 17., ja noch im 18. Jahrhundert in allen Pfarren fehlt, Heiraten oft in der ländlichen Heimat eines der Ehegatten geschlossen werden, weiter die obengenannten Schwierigkeiten noch dazukommen, sind die Angaben oft sehr lückenhaft.
Bleibt noch zu sagen, dass der Übergang zu den landwirtschaftlichen Berufen anscheinend durch mit dem Getreide zusammenhängende Berufe Bestätigung erfuhr. Schon Johann VII. mag als städtischer Kranmeister manchen Sack Mehl in der Hand gehabt haben, und der „Kornrnüdderer“ Dreiß III. sicher noch mehr davon.
Johann (v.) Bornheim (s. S. 130) lässt sich als erster Müller nachweisen; Joest v. Bornheim, der am 28.5.1595 in St. Severin Brigitta v. Waldorf, Tochter des Carthäusermüllers auf der Ulrepforte heiratet, gehört aber wohl nicht hierher. – Die Neigung zu ländlichen Berufen scheint also durch städtische Beamtenstellungen unterstützt worden zu sein. Eine Überlieferung in der Mülheimer Linie sicht den Übergang zum Müllerberuf und damit die „Aufgabe des Adels“ in der Ehe eines Ahnherrn mit einer nicht standesgemäßen Müllerstochter in Langel nach einem Bruderzwist. Von Bedeutung für die neue Berufswahl scheint vor allem die Aufgabe des großen Hausbesitzes am Ende des Jahrhunderts zu sein – die jüngeren Söhne mussten sich nach einer neuen Heimat umsehen.